Lesung aus „dagegen – dabei“ im Park mit Editor Michael Kellner

“Es ging darum, einen Ort zu schaffen für Vernetzung, wo etwas stattfinden kann, weil Material da ist. Ich wollte einen Ort, wo die Ideen stattfinden konnten und herausgeholt werden aus dem diffusen Brei aufgeheizter Kneipengespräche und politischer Diskussionen. Es gab 1000 Zeitschriften und es gab keinen Ort.” Mit ihrer Buch Handlung Welt stellte Hilka Nordhausen “ dem Vorhandenen etwas entgegen[..]”. Der Leitsatz aus Niklas Luhmanns Klassiker „Die Realität der Massenmedien“ ist: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“. Diese Realitätskonstruktion durch Bücher war ihr suspekt. Gerade die neuere Kunstgeschichte schien ihr „eine Art Falle“ zu sein. Konzeptkunst als state-of-the-art, empfand sie als kopflastig. Ihr ging es um den Dialog. Ihr Sortiment an Literatur umfasste u.a. 300 alternative Zeitschriften, als „ein einzigartiger Überblick über das Geschehen der autonomen Szene.“ – mit denen die Produzenten mittels der damals neuen Fotokopiertechnik die „Macht der Verleger [..] um[gingen]“. Die selbstgemachte und selbstverlegte Literatur war Möglichkeit eine unabhängige Realität zu schaffen und aus der eignen „Prädisposion“ herauszutreten. Buch Handlung Welt war eine Vernetzungsstätte, in der die Kommunikation über künstlerische Produktion und ihre Akteure im Mittelpunkt stand. Als „Produktionsort“ entstanden hier zudem diverse Zeitschriften (u.a. die Künstlerzeitschrift Nancy«), in denen Nordhausen auch veröffentlichte und als deren Bezugsort im Impressum häufig die Buch Handlung Welt angegeben wurde.

Nordhausen lud Künstlerinnen und Künstler für Lesungen und/oder Performances in die Buch Handlung Welt ein, oder um ein Wandbild zu erstellen, dass wieder und wieder von Nachfolgenden übermalt wurde. Ihr Absicht war: „Eine Wandarbeit, projiziert auf den Raum, in dem etwas passiert.“ Ihr ging es dabei nicht um ein Werk, um etwas das bleibt, sondern um die Auseinandersetzung darum, „was sie da tun, was sie mit dem Raum machen, was sie mit dieser Fläche anstellen. Der Dialog war wichtig und das Spannende.“ Ob Wandbildnis oder ein Betrag als Performance, in den Jahren 1977 bis 1983 beteiligten sich an diesem Dialog Künstlerinnen und Künstler wie Eva Vargas, Albert Oehlen, Werner Büttner, Martin Kippenberger, Norbert Schwontkowski, Dieter Roth, Klaus Wyborny, Allen Ginsberg. Heute große Namen traten in Aktionen neben Künstlerinnen und Künstlern, die in Vergessenheit gerieten.

Michael Kellner arbeitete seit 1977 in der Buch Handlung Welt mit. Er brachte später „in der Edition Michael Kellner eine limitierte bibliophile Auflage von Allen Ginsbergs Howl heraus, mit Faksimile der ersten Fassung, sowie Kommentaren Ginsbergs und Briefen aus der Entstehungszeit“. In der Buch Handlung Welt übernahm Kellner alsbald den Literaturbereich, bestellte Bücher für jene, die nicht nur zum Lesen oder zum Gespräche kamen, knüpfte Kontakte zu literarischen Produzenten auf der ganzen Welt. Hilka Nordhausen konzentrierte sich fortwährend im Wesentlichen auf den Kunst und Filmbereich.

Das ebenfalls in der Edition Michael Kellner erschienene Buch „dagegen dabei – Texte, Gespräche und Dokumente der Selbstorganisation“ wurde herausgegeben von Hans-Christian Dany, Ulrich Dörrie und Bettine Sefkow und ist zum einen die zu Lebzeiten der Buch Handlung Welt nie verwirklichte Dokumentation aller Veranstaltungen in Druckform, zum anderen die Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung 1994/1995 im Kunstverein Hamburg, „die Nicht das Werk eines Künstlersubjekts in den Mittelpunkt stellt, sondern künstlerische Tätigkeit als Form von Zusammenarbeit im Kontext kultureller Gegebenheiten begreift“. Für die Galerie Genscher, die ihr Programm stets ortsspezifisch und situativ verstanden wissen will, ist die Auseinandersetzung mit der Buch Handlung Welt, eine Aufarbeitung des historischen Bezuges der eigenen Praxis, in einer anderen Zeit. Auch hier geht es nicht um das Werk an sich, sondern um den Diskurs.

Seit 1981 arbeite auch Ulrich Dörrie (damals Künstler und Kunsthistoriker, späterer Galerist und Hochschuldozent) in der „Buch Handlung Welt“ mit. Dörrie verwaltet heute, gemeinsam mit Bettina Sefkow das künstlerische Erbe Hilka Nordhausens. Die Lesung im Karolineviertel findet auf jenem Hügel im Park hinter der Galerie Genscher statt, der die Trümmer des Gebäudes beherbergt, in dem ihr künstlerisches Werk entstand.
Mit der Wahl dieses Ortes soll auch dieses nun diskursiv bedacht werden, das vor der Bedeutung ihres Wirkens oft und zu unrecht unbeachtet blieb.  
Text: Michael Heering, Zitaten aus „dagegen – dabei“ und Wikipedia, ediert von Michael Kellner

15.08.2021, 16:00 Uhr
Lesung aus „dagegen – dabei“ im Park mit Editor Michael Kellner,
im Park hinter der Galerie Genscher, Zugang via Marktstraße 141(zwischen 140 und 142)

Bitte Anweisungen der Ordner*innen befolgen und Hygiene und Abstandsregeln beachten. Vor Beginn der Veranstaltung werden SARS-CoV-2 Antigen Sputum Tests für den sofortigen Selbstgebrauch verteilt.
Darüber hinaus gelten die aktuelle Verordnung der Freien- und Hansestadt Hamburg zur Eindämmung der SARS-CoV-2 Pandemie, nachzulesen unter: https://www.hamburg.de/coronavirus/14545624/das-ist-erlaubt/

Der ART OFF HAMBURG Kultursommer wird im Programm Kultursommer 2021 durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) mit Mitteln aus NEUSTART KULTUR gefördert, die dafür 500.000 Euro zur Verfügung stellt. Außerdem fördert die Behörde für Kultur und Medien das Projekt mit 125.000 Euro. https://www.art-off-hamburg.de/